Weil bei uns der Spieler als Mensch zählt!
U-17-Weltmeistertrainer und VDV-Mitglied Christian Wück
Plädoyer für die zweiten Mannschaften
Im Dezember schafften Christian Wück (50) und sein Team das „Wintermärchen“, als zum ersten Mal in der Geschichte eine deutsche U-17-Nationalmannschaft Weltmeister wurde. WIR PROFIS sprach mit dem ehemaligen VDV-Proficamp-Coach über den Weg zum Titel sowie den Status Quo und die Zukunft der deutschen Nachwuchsarbeit.
WIR PROFIS: Christian, der Gewinn der U-17-Weltmeisterschaft liegt nun einige Wochen zurück. Was überwiegt mit etwas Abstand: Die Freude über das Erreichte oder die Trauer, dass du die Jungs nicht weitertrainieren darfst?
Christian Wück: Nein, es war klar, dass ich die Mannschaft nach der WM abgebe. Von daher überwiegt ganz klar der Stolz auf das Erreichte und das Bewusstsein, dass diese Zeit, die ich mit den Jungs erlebt habe, etwas ganz Besonderes war.
WIR PROFIS: Wenige Jugend-Turniere waren hierzulande medial so präsent wie die WM in Indonesien. Schauen wir in Deutschland noch zu wenig auf die Nachwuchsturniere?
Christian Wück: Ja, auf jeden Fall! Für die Jungs ist es in ihrer Entwicklung unglaublich hilfreich, diese Wahrnehmung zu bekommen. Sie merken dann zum ersten Mal, was es wirklich bedeutet, Nationalspieler zu sein und als Adlerträger so ein wichtiges Turnier zu spielen. Diese Wertschätzung in der Öffentlichkeit hat mir bei der letzten Europameisterschaft gefehlt, aber umso schöner, dass sie jetzt bei der Weltmeisterschaft endlich da war.
WIR PROFIS: Vor dem Halbfinale gegen Argentinien hast du die Mannschaft motiviert, indem du alte Szenen von Weltmeister Guido Buchwald gezeigt hast …
Christian Wück: Nein, nicht ganz: Wir haben von Guido eine Grußbotschaft einschicken lassen, in der er über das WM-Finale 1990 gegen Argentinien spricht. Mit diesem Spiel wurde er ja weltberühmt und bekam seinen Spitznamen „Diego“, weil er es schaffte, Weltstar Diego Maradona weitestgehend aus dem Spiel zu nehmen. Unser Gegner an dem Tag hatte ebenfalls einen starken Zehner auf dem Feld, deshalb wollten wir den Jungs einen Erfahrungsbericht von jemandem zeigen, der im Fußball sehr, sehr viel erreicht hat. Das hat der Guido gerne gemacht und ich glaube, es hat auch ein wenig mit dazu beigetragen, dass wir das Halbfinale überstanden haben.
WIR PROFIS: Welchen Clip hast du vor dem Finale eingespielt?
Christian Wück: Da muss ich etwas weiter ausholen: Vor dem EM-Finale gegen Frankreich im Juni letzten Jahres hatten die Spieler Grußbotschaften von den Cheftrainern der Profiteams ihrer Klubs erhalten. Das Spiel haben wir im Anschluss gewonnen, also wollten wir zum Endspiel der Weltmeisterschaft etwas Ähnliches machen. Am Ende wurden es dann Videogrüße der U-19-Klubvertretungen, die die Jungs motivieren sollten.
WIR PROFIS: Offensichtlich mit Erfolg. Euer WM-Titel war ein erfreulicher Ausreißer in der ansonsten eher negativen Berichterstattung, wenn es um den deutschen Fußball-Nachwuchs geht. Wie optimistisch bist du, dass die Veränderungen, die zuletzt in diesem Bereich angestoßen wurden, fruchten?
Christian Wück: Ich würde den WM-Titel weniger als „Ausreißer“ sehen, sondern vielmehr als erste Bestätigung unserer Bemühungen. Wir arbeiten nämlich nicht erst seit gestern daran, den Jugendbereich in Deutschland auf neue Füße zu stellen, sondern schon sehr, sehr lange. Ich bin jetzt seit zwölf Jahren beim DFB und während dieser ganzen Zeit war es ein dominierendes Thema, die Nachwuchs-Struktur wieder auf Vordermann zu bringen. Das alles gipfelte dann in der Reform der Nachwuchsligen und des Jugendtrainings, die im vergangenen Jahr von Hannes Wolf vorgestellt wurden. Beispielsweise werden ja die A- und B-Junioren-Bundesligen ab der Saison 2024/25 in Staffeln umstrukturiert und in U-19- beziehungsweise U-17-DFB-Nachwuchsliga umbenannt. Der Grund dafür ist, dass wir einfach gemerkt haben, dass Spieler, die aus der U-19-Bundesliga kamen, nicht verstanden haben, warum sie jetzt vermeintlich einen Schritt zurück machen und in die Regionalliga oder 3. Liga wechseln sollen. In deren Köpfen hat sich etabliert: Bundesliga ist Bundesliga. So ist es aber halt nicht. Daher glaube ich, dass diese und viele andere Maßnahmen, die wir angestoßen haben – auch die im Kinderfußball – greifen werden. Vielleicht nicht sofort, aber ich denke, dass das System Fußballdeutschland jetzt auf etwas besseren Füßen steht.
WIR PROFIS: Auch das Prinzip der Nachwuchsleistungszentren wurde in Frage gestellt, da es sich möglicherweise ebenfalls negativ auf das Anspruchsdenken der darin ausgebildeten Spieler auswirken könnte. Wie stehst du dazu?
Christian Wück: Unsere Kommunikation mit den Trainern und den Direktoren der Nachwuchsleistungszentren läuft sehr gut, da haben wir in den letzten Jahren ebenfalls sehr große Fortschritte gemacht. Ich glaube, dass wir jetzt einfach mal abwarten müssen, wie die neue Ligastruktur und die neue Trainingsphilosophie angenommen werden. Vielleicht stellen wir an der ein oder anderen Stelle fest, dass wir nicht den richtigen Weg gegangen sind und müssen noch einmal nachjustieren. Aber fürs Erste gehe ich davon aus, dass die wichtigsten Schritte in die Wege geleitet sind.
WIR PROFIS: Welche weiteren Maßnahmen wurden notwendig, um zu Nationen wie England und Frankreich aufzuschließen, wo im Profibereich drei bis vier Mal so viele U-21-Spieler eingesetzt werden wie bei uns?
Christian Wück: Ich glaube, dass wir in Deutschland ein Problem mit den Zweitvertretungen haben beziehungsweise hatten. Viele Klubs hatten ihre zweiten Mannschaften in der Vergangenheit abgemeldet. Mittlerweile setzt langsam ein Umdenken ein, Eintracht Frankfurt hat jetzt zum Beispiel wieder eine zweite Mannschaft; andere Bundesligaklubs planen ebenfalls die Wiedereinführung. Ich glaube, das ist ein wichtiger Baustein, denn den direkten Sprung von der U-17 oder der U-19 in den Profibereich schaffen natürlich nur die Wenigsten. Alle anderen brauchen diesen „Umweg“ über die Amateure, um Spielpraxis im Herrenbereich zu sammeln. Dazu gehört dann aber auch, dass man den Spielern das Vertrauen schenkt. Da spreche ich aus eigener Erfahrung.
WIR PROFIS: Du warst bei deinem Profidebüt im Jahr 1990 gerade einmal 17 Jahre und 133 Tage alt und damit der damals drittjüngste Bundesliga-Debütant …
Christian Wück: Ja, ich bin wirklich ins kalte Wasser geschmissen worden damals. Aber es hat funktioniert, auch wenn es sicher in vielerlei Hinsicht eine andere Zeit war. Ich glaube trotzdem, dass die Trainer öfter den Mut haben sollten, jungen Spielern im Profibereich eine Chance zu geben. Hauptsächlich sehe ich aber wirklich die zweiten Mannschaften als Hebel, den wir wieder mehr in den Fokus rücken sollten. Die Freiburger und die Dortmunder machen da einen guten Job in der 3. Liga. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Klubs diese Übergangsphase für junge Spieler ermöglichen.
WIR PROFIS: Du hast gerade erwähnt, dass du mit 17 Jahren ins kalte Wasser geworfen wurdest. Bist du seitdem auch VDV-Mitglied?
Christian Wück: Ja, seit ich meinen ersten Profivertrag beim 1. FC Nürnberg unterschrieben habe. Gott sei Dank musste ich eure Hilfe relativ selten in Anspruch nehmen. Aber wenn man als Spieler mal Fragen oder Probleme hat, ist so eine „Hotline“ zu Experten unheimlich wichtig. Ich finde eine Gewerkschaft für Fußballer absolut sinnvoll und deshalb bin ich immer noch dabei!
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