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Über die große Leere nach dem großen Wettkampf

Eben noch im Rampenlicht

Mit der UEFA EURO 2024 in Deutschland und den Olympischen Spielen in Paris fanden in diesem Sommer gleich zwei der größten Sportevents der Welt statt. Der großen Bühne folgt bei den Athleten nicht selten die große Leere, verbunden mit der Frage: Worauf soll ich jetzt hinarbeiten? Marion Sulprizio, Sportpsychologin und Geschäftsführerin der von der VDV mit ins Leben gerufenen Initiative MENTAL GESTÄRKT, klärt über das Phänomen der „Post-Olympia-Depression“ auf.

WIR PROFIS: Frau Sulprizio, was verbirgt sich hinter dem Begriff der „Post-Olympia-Depression“?

Marion Sulprizio: Einfach ausgedrückt geht es darum, dass Sportlerinnen und Sportler, die lange auf ein bestimmtes Event hingearbeitet haben, Gefahr laufen können, in eine Art Loch zu fallen, sobald der große Wettkampf vorbei ist. Betroffene empfinden dann ein Gefühl der psychischen Leere und wissen nicht wirklich etwas mit ihrer freien Zeit – die sie als vermeintlich angenehm empfinden müssten – anzufangen. Sie verlieren aus den Augen, dass sie etwas Großes geleistet haben. Ich muss aber direkt betonen, dass es sich dabei nicht zwangsläufig um eine voll ausgeprägte klinische Depression handelt, wie der Name suggeriert. Es kann sich auch um eine Art „Blues“ oder eine depressive Verstimmung handeln.

WIR PROFIS: Wie äußern sich diese Verstimmungen?

Marion Sulprizio: Die Symptome können denen einer Depression schon ähneln: die bereits erwähnte mentale Leere oder das Gefühl einer kompletten Erschöpfung, sodass man körperlich nicht aktiv sein und am liebsten nur herumliegen möchte. Die Betroffenen leiden extrem unter ihrer Ziellosigkeit, viele fühlen sich sogar so, als sei ihre Identität gekippt oder sogar nicht mehr vorhanden. Der ehemalige Schwimmer Michael Phelps – einer der prominentesten Athleten, die über ihre postolympischen Depressionen gesprochen haben – versuchte diese Ziellosigkeit mit Drogen und Alkohol zu kompensieren, was erwartungsgemäß dysfunktional war.

WIR PROFIS: Wie können die Athleten der mentalen Leere stattdessen entgegenwirken?

Marion Sulprizio: Hier sind vor allem Präventivmaßnahmen wirkungsvoll, also Vorkehrungen, die ich vor dem Wettkampf treffe und nicht erst danach. Generell ist es in der Psychologie nämlich so, dass Situationen einfacher zu bewältigen sind, wenn sie zuvor im Kopf schon einmal durchgespielt wurden. Noch besser geht es natürlich, wenn man sich im Vorfeld konkrete Pläne für dieses Szenario zurechtgelegt hat. Es hilft etwa, sich die Fragen zu stellen: Wann endet meine wettkampforientierte Zeit beziehungsweise wann beginnt die Phase mit viel „Leerlauf“? Wie werde ich diese Zeit konkret nutzen? Und welche neuen Ziele verfolge ich dabei?

WIR PROFIS: Auch in der Psychologie gilt also: Planung ist das halbe Leben?

Marion Sulprizio: Ganz vereinfacht ausgedrückt, ja. In der Psychologie sprechen wir jedoch eher von Motivation und von Volition; also die Anreize – intern oder extern – für zielorientiertes Handeln und die Kompetenz zur bewussten Umsetzung. Planung ist sozusagen eines der Werkzeuge, um Absichten in Taten umzuwandeln.

WIR PROFIS: Viele Profisportler sind möglicherweise ungeübt in der Planung ihres Alltags, da der Sport ihr Leben bislang strukturiert hat. Was können Athleten tun, die sich hier schwertun?

Marion Sulprizio: Sportpsychologische Coachings können den Athleten dabei helfen, die Situation der wettkampffreien Zeit zu antizipieren, ganz besonders, wenn sie in der Phase vor dem Event oder dem Karriereende stattfinden. Gemeinsam mit einem Psychologen kann ich beispielsweise neue Ziele für die Zeit danach erarbeiten oder mir ganz grundsätzlich Gedanken über meine Identität machen. Bin ich nur ein Sportler oder habe ich auch noch andere Rollen? Welche Dinge sind mir in meinem Leben sonst noch wichtig oder könnten es sein? Diese Fragen klingen trivial, können aber im Einzelfall Großes bewirken.

WIR PROFIS: An wen kann ich mich als Athlet wenden, um diese Art von sportpsychologischem Support zu erhalten?

Marion Sulprizio: Mittlerweile gehören immerhin in den Nachwuchsleistungszentren sportpsychologische Experten zur personellen Grundausstattung. Junge Fußballer können also dort entsprechende Coachings in Anspruch nehmen. Im Profibereich sind fest angestellte Psychologen leider immer noch nicht verpflichtend, daher mangelt es dort oft an Expertinnen oder Experten. Hier steht MENTAL GESTÄRKT allen Athleten zu jeder Zeit als Anlaufstelle zur Verfügung. Wir sind immer in der Lage, Hilfe zu vermitteln und bieten in Kooperation mit Partner-Initiativen regelmäßig auch eigene Workshops an. Im Sinne einer Grundlage arbeiten wir im präventiven Bereich, stärken also Ressourcen und Resilienz der Athleten, um mentale Probleme gar nicht erst auftreten zu lassen. Wenn es jedoch schon so weit ist, dass jemand in einem Loch steckt und sich schlecht fühlt, vielleicht sogar Suizidgedanken hat, dann ist natürlich psychiatrische, psychotherapeutische Hilfe notwendig. Auch diese vermittelt MENTAL GESTÄRKT!

VDV-Mitglieder haben über MENTAL GESTÄRKT Anspruch auf eine sportspsychologische Erstberatung per Telefon und/oder E-Mail:

  • Telefon: 02 21 – 49 82 55 40
  • E-Mail: tdadnesa@mkllt-rso.gtneeeeskh
  • Website: www.mentalgestaerkt.de

Die Anfragen werden von den Experten der Deutschen Sporthochschule Köln vertraulich behandelt.

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