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Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Tim Meyer

Die schwierige Frage der Geschlechterklasseneinteilung im Fußball 

Nicht erst seit Olympia steht in der Sportwelt die Frage im Raum, wie mit Intersexualität und Transgender-Athleten bei der Einteilung in Geschlechterklassen zu verfahren ist. Prof. Dr. med. Tim Meyer, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des DFB, spricht im Interview über das Spannungsfeld zwischen Liberalismus und der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs. 

WIR PROFIS: Wie präsent ist das Thema Geschlechterfeststellung im Profifußball? 

Tim Meyer: Es gibt bislang zumindest in Deutschland kaum bekannte Fälle, bei denen Transgender-Athleten beziehungsweise -Athletinnen oder intersexuelle Personen Probleme hatten, in ihrer jeweiligen Geschlechterklasse anerkannt zu werden. Daher ist davon auszugehen, dass die Zahl der Fälle noch recht gering ist. Im Amateurfußball mag das anders sein, dort ist der gesellschaftliche Konsens, den auch der DFB mit seinen bisherigen Entscheidungen unterstützt, aus meiner Sicht klarer: Wir wollen Amateursportler und -sportlerinnen nicht irgendwelchen Geschlechterprüfungen unterziehen, sondern vielmehr das Individuum selbst entscheiden lassen. Je weiter es in den Profi-Bereich geht, desto komplizierter wird allerdings die Lage. 

WIR PROFIS: Warum? 

Tim Meyer: Weil die Athletinnen und Athleten hier mit dem Sport Geld verdienen und deshalb ein gerechter Wettbewerb gewährleistet sein muss. Zu dieser Gerechtigkeit gehört aktuell, dass es getrennte Wettbewerbe für beide biologischen Geschlechter gibt. Denn Männer und Frauen haben – das ist auf ganz vielen Ebenen nachweisbar – nun einmal ein ganz unterschiedliches physisches und sportliches Leistungsvermögen. Durch die von mir persönlich sehr begrüßte Liberalisierung in der Gesellschaft ist es nicht unwahrscheinlich, dass mehr Personen in der jeweils anderen Geschlechterklasse im Sport antreten wollen, bei denen biologisches und soziales Geschlecht nicht übereinstimmen. Dabei kann es sich beispielsweise um Transfrauen handeln, die im biologischen Geschlecht männlich sind und in Frauen-Fußballteams spielen möchten. Hier kann man aus profi-sportlicher Sicht schon die Frage stellen, ob diese Transgender-Athleten nicht einen ungerechten Vorteil mitbringen. 

WIR PROFIS: Wie unterscheidet sich Transgeschlechtlichkeit von Intersexualität? 

Tim Meyer: Menschen mit Transidentität wurden biologisch männlich oder weiblich geboren, entscheiden sich dann aber aus ganz unterschiedlichen Gründen im Laufe ihres Lebens dazu, das Geschlecht zu wechseln. „Entscheiden“ ist hier relativ zu verstehen, denn in den meisten Fällen liegt dem Zugehörigkeitsempfinden zum anderen als dem biologischen Geschlecht keine simple Entscheidung zugrunde, sondern ein komplizierter Prozess, den ich keinesfalls vereinfachen oder abwerten möchte. Intersexualität hingegen betrifft Menschen, bei denen in der Regel von Geburt an genetische oder organische Tatsachen vorliegen, die später im Leben eine klare Zuordnung des biologischen Geschlechts erschweren. Es kann zum Beispiel passieren, dass jemand mit männlichem Chromosomensatz geboren wird, aber eine Resistenz des Testosteronrezeptors vorliegt. Das männliche Geschlechtshormon wirkt dann nicht oder nur sehr eingeschränkt. Diese Personen wachsen mit einem eher weiblichen Aussehen als Mädchen auf, obwohl sie genetisch eigentlich Männer sind. Das ist zum Zeitpunkt der Entdeckung für viele Betroffene nicht leicht zu tolerieren. Deshalb sind Fälle von Intersexualität oft sehr schwierig. 

WIR PROFIS: Gibt es denn Fälle, bei denen es zu Klassifizierungsproblemen von intersexuellen Athleten kommt? 

Tim Meyer: Sie sind selten, aber es gibt sie. Nehmen Sie das oben skizzierte fiktive Beispiel. Ein Junge, bei dem Testosteron nicht wirkt, wird weiblich aussehen. Die Person wächst als Mädchen auf, wäre den Konkurrentinnen in einer höheren Altersklasse aber körperlich möglicherweise überlegen, weil männliche Eigenschaften nicht ausschließlich durch Testosteron bewirkt werden, beispielsweise die Körpergröße. Will man so jemandem verbieten, bei den Mädchen oder Frauen anzutreten? Oder der Person gar das Frau-Sein absprechen? Letzteres natürlich nicht. Diese Fälle sind sehr schwierig. 

WIR PROFIS: Wie lässt sich das Spannungsfeld zwischen liberaler Einstellung und der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs lösen, ohne die Betroffenen zu verletzen? 

Tim Meyer: Eine einfache, aber immerhin klare Lösung hat der Rugby-Weltverband für Transgender-Athletinnen gefunden: Wer die Pubertät als Mann komplett abgeschlossen hat, darf danach nicht mehr für Frauen-Teams antreten. Zum Übergang (Transition) zum anderen biologischen Geschlecht werden in der Regel Geschlechtshormone eingenommen. Damit entsteht zumindest für biologische Frauen, die einen Übergang zum männlichen Geschlecht wünschen, übrigens eine gewisse Dopingproblematik beziehungsweise die Notwendigkeit für eine Ausnahmegenehmigung, denn männliche Geschlechtshormone stehen auf der Dopingliste. Zwar verändern die Hormone das Aussehen und verschiedene Merkmale der betroffenen Person, sie machen aber nicht alle mit der Pubertät eingetretenen Veränderungen rückgängig. Wie viel seiner alten Konstitution jemand behält, ist stark davon abhängig, wann mit der Hormonbehandlung begonnen wird. Der Geschlechterwechsel vor oder während der Pubertät würde später im Profisport also vermutlich weniger körperliche Vorteile mit sich bringen als bei einer Person, die diesen erst mit, sagen wir, 20 Jahren vollzieht. Dann hätte man im Extremfall eine 1,90 Meter große, muskulöse Transgender-Athletin, die gern im Frauen-Team antreten will, aber natürlich gewisse Vorteile beim Kopfball oder im Zweikampf hätte. So eine starke Körperlichkeit könnte sogar das Verletzungsrisiko für die übrigen Spielerinnen erhöhen – auch das ist denkbar. Von daher wäre das World-Rugby-Modell vielleicht eines, auf das man sich am ehesten einigen könnte. Alle Fälle eines früheren Übergangs in den Frauenbereich wären trotzdem noch unklar, denn auch bei einer Transition mit 17 wären ja viele biologische Reifungsprozesse bereits abgelaufen. 

WIR PROFIS: Wie geht der DFB aktuell mit der Thematik um? 

Tim Meyer: Wir von der Medizinischen Kommission haben das Thema bereits vor einem Jahr angestoßen und der DFB arbeitet an einer Lösung. Das Thema ist ehrlicherweise sehr komplex und auch politisch: Wir wollen natürlich allen Personen die größtmögliche Freiheit lassen, und eine Reglementierung bei der Frage nach Geschlechterzugehörigkeit wäre eine gewisse Einschränkung. Meine persönliche Meinung – und auch die der Medizinischen Kommission des DFB – ist, dass Einzelfallentscheidungen herbeigeführt und von einem Expertengremium vorbereitet werden sollten, zumindest solange wir eine geringe Zahl an Fällen haben. Das ist zwar aufwändig, aber wird der Situation noch am ehesten gerecht. Es würde für Transgender-Athleten und für Intersexuelle gelten. Erst wenn die Zahl der Fälle nicht mehr zu handhaben ist, muss man pauschalere Regelungen treffen. Allerdings erwarte ich eine solche Zunahme für den reinen Profibereich in der nächsten Zukunft nicht. 

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