Weil bei uns der Spieler als Mensch zählt!
VDV-Proficamp
Veränderungen in der Betreuung sind nötig
Mentale Gesundheit im Profifußball? Nach wie vor ein Tabuthema. Und das, obwohl die VDV sowie zahlreiche sportpsychologische Initiativen seit Jahren um Aufklärungs- und Präventionsarbeit bemüht sind. Neueste Erkenntnisse zu Suizidalität im Profifußball liefert eine Studie der TU Dresden. Leider keine guten, wie Studienleiter Marek Pešička – M.Sc., Doktorand und Psychotherapeut in Ausbildung – zu berichten weiß.
WIR PROFIS: Herr Pešička, was war der Auslöser für Ihre Studie zu Suizidalität im Profifußball?
Marek Pešička: Der Auslöser hat einen Namen: Robert Enke. Sein Tod ist zwar mittlerweile schon 15 Jahre her, aber in meiner subjektiven Wahrnehmung hat sich in diesem Bereich seither viel zu wenig getan. Seit ich begonnen habe, Psychologie zu studieren, habe ich mir deshalb geschworen, dazu beizutragen, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit mentaler Gesundheit verbessert. Mit der Hilfe von Frau Dr. med. Lewitzka von der TU Dresden, die mich als Doktorand aufgenommen und das Projekt gemeinsam mit mir entwickelt hat, konnte ich unter ihrer Leitung eine wissenschaftliche Studie zu dem Thema durchführen.
WIR PROFIS: Wie war die Studie aufgebaut und was war der genaue Untersuchungsgegenstand?
Marek Pešička: Wir wollten Risikofaktoren und Häufigkeit von mentalen Gesundheitsproblemen, insbesondere Suizidalität, im Profifußball untersuchen. Hierzu wurde die Studie in zwei Etappen geteilt, eine quantitative und eine qualitative Datenerhebung. Im ersten Teil haben wir eine anonymisierte Umfrage unter allen Bundesliga-Klubs durchgeführt, bei der Spieler insgesamt vier Fragebögen zu den Themen Lebenszufriedenheit, Suizidalität, mentale Stärke und Resilienz beantworten sollten. Hierfür hatten wir im Vorfeld großflächig um Kooperation gebeten, nicht nur bei den Klubs selbst, sondern auch beim DFB und der Robert-Enke-Stiftung.
WIR PROFIS: Wie fiel die Rückmeldung aus?
Marek Pešička: Leider verhalten. Da es eine anonymisierte Umfrage war, lässt sich nicht zurückverfolgen, ob alle Klubs die Umfrage an ihre Spieler weitergegeben haben. Insgesamt haben 50 Spieler teilgenommen, davon 31 aus der U-19-Bundesliga und 19 aus den Profiteams. Aus den 50 ausgefüllten Fragebögen lassen sich zwar durchaus erste Tendenzen ablesen, wir hätten uns aber dennoch eine höhere Quote gewünscht. Schlussendlich war die VDV der einzige Kooperationspartner, der uns wirklich weiterhelfen wollte, insbesondere was den direkten Kontakt zu den Sportpsychologen der Klubs angeht. Hier haben in einem zweiten Schritt noch einmal 15 Psychologen an einer weiteren Umfrage teilgenommen, die allerdings nicht online sondern in Person stattfand.
WIR PROFIS: Welche Ergebnisse haben die Befragungen hervorgebracht?
Marek Pešička: Die Werte aus der Umfrage unter den 50 Spielern sind statistisch natürlich noch nicht signifikant, zeigen aber bereits heftige Ergebnisse auf: 6 von 50 Spielern gaben an, schon einmal Suizidgedanken gehabt zu haben, was 12 Prozent der Befragten entspricht. Bei den 19 Profispielern waren es 4, sodass der Anteil mit 21,5 Prozent hier sogar nochmal etwas höher ist. Gerade in dieser Gruppe ist die geringe Anzahl der befragten Personen natürlich ein Problem. Trotzdem sind die Zahlen schon auffällig hoch. Suizidgedanken dürfen wir nicht runterspielen, das sind für mich ganz einfach lebensbedrohliche Symptome, die hier geschildert werden.
WIR PROFIS: Was haben die Umfragen unter den Sportpsychologen ergeben?
Marek Pešička: Fast alle – 14 von 15 Befragten – sehen in der Bundesliga Veränderungs- und Verbesserungspotenzial bei der psychologischen Betreuung der Spieler. Die psychologische Seite ist sich somit ziemlich einig, dass Veränderungen nötig sind. Zwölf der Befragten sind sich sicher, dass es Fußballer mit Suizidgedanken gibt. Gleichzeitig haben die meisten Klubs offenbar kein Netzwerk oder ein Register, um mögliche Suizidalität in Erfahrung zu bringen. Heißt: Obwohl bei den Klubs also nahezu Gewissheit herrscht, wird so gut wie gar nicht versucht, die Spieler frühzeitig zu behandeln oder die Probleme wahrzunehmen. Es gibt auch schon besorgniserregende Beispiele aus anderen Ligen: In Uruguay etwa haben sich vier Profifußballer innerhalb von zwei Jahren suizidiert. Eine unserer Fragen war, ob so etwas auch in Deutschland denkbar wäre, worauf sieben der befragten Teilnehmer mit Ja geantwortet haben. Weitere sieben Befragte haben vorausgesetzt, dass sich für eine intensivere Betreuung zuerst die Spieler öffnen müssten. Das finde ich aber schwierig, denn die Welt des Profifußballs ist leider immer noch durch viel fehlinterpretierte Männlichkeit geprägt und oftmals wollen sich Spieler aufgrund der möglichen Reaktion der Medien oder eben auch der Vereine, also der potenziellen Arbeitgeber, nicht öffnen. Da müssen aus meiner Sicht aktive Maßnahmen vom Klub oder vom Umfeld kommen.
WIR PROFIS: Welche Maßnahmen können das sein?
Marek Pešička: Team-Schulungen, wie sie die VDV etwa beim Thema Spiel- und Wettmanipulation durchführt, sind zum Beispiel sehr wichtig. Hierbei werden die Spieler auch animiert, sich zu zeigen und Hilfe zu suchen, wenn sie in einer schwierigen Situation stecken. Solche Schulungen zum Thema mentale Gesundheit sind zwar vorgesehen, aus klubinternen Quellen weiß ich allerdings, dass diese von der zuständigen Stelle nur ungenügend oder sogar gar nicht durchgeführt werden. Sportpsychologische Netzwerke wie das von der VDV mitinitiierte MENTAL GESTÄRKT sind ebenfalls eine tolle Anlaufstelle! Ich glaube, vielen Spielern ist gar nicht bewusst, dass so ein gutes Angebot existiert. In der englischen Premier League gibt es weitere positive Beispiele dieser Art; Plattformen, über die sich Spieler melden können und sofort therapeutische oder seelsorgerische Behandlung erhalten.
WIR PROFIS: Wo gibt es konkretes Verbesserungspotenzial auf Klub- und Verbandsseite?
Marek Pešička: Es sollten die Forschungspartnerschaften ausgebaut werden, beispielsweise zum Olympischen Sportbund oder im Fußball zur FIFA und UEFA. Generell sollte ein Austausch zwischen den Sportarten gefördert werden, da psychische Gesundheitsprobleme in jedem Sport vorkommen können und die Sportpsychologen hier voneinander profitieren können. Den Vereinen sollte es außerdem vorgeschrieben sein, einen Psychotherapeuten für den A-Kader angestellt zu haben, damit es jemanden gibt, der sich ausschließlich um die Mannschaft kümmert und die Spieler auch einen klaren Ansprechpartner haben. Bislang ist es nämlich so, dass Psychologen für die Klubs nur in Nachwuchsleistungszentren verpflichtend sind, nicht aber im Profibereich. Deshalb hatten zur Zeit der Umfrage in der Saison 2021/22 auch nur vier Profiteams einen fest angestellten Psychologen. Was sicherlich auch helfen würde, wäre eine Erweiterung des Medizinchecks: Warum nicht auch die psychische Gesundheit testen, damit der Verein nicht nur weiß, wie sie körperlich mit dem Spieler umzugehen haben, sondern auch psychologisch?
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