Weil bei uns der Spieler als Mensch zählt!
Thomas Grønnemark
„Der Einfluss von Einwürfen auf das Spiel ist riesig!“
Immer mehr Teams sehen in Einwürfen keine lästige Spielunterbrechung mehr, sondern eine wichtige Stellschraube für mehr Ballbesitz und Torgefahr. Einen großen Anteil daran hat der Däne Thomas Grønnemark (48), der als Einwurfcoach bereits mit dem FC Liverpool, Ajax Amsterdam oder Borussia Dortmund zusammenarbeitete und beeindruckende Zahlen vorzuweisen hat. WIR PROFIS sprach mit Thomas über die drei Typen eines Einwurfs – weit, schnell, clever – sowie nützliche Tipps für Profis.
WIR PROFIS: Thomas, wie bist du eigentlich Einwurfcoach geworden?
Thomas Grønnemark: Da muss ich etwas ausholen: Ich habe früher selbst Fußball auf ordentlichem Niveau gespielt, die größeren Erfolge konnte ich jedoch für Dänemark in der Leichtathletik und später im Bobsport feiern. Lustigerweise ist erst hier mein Talent für Einwürfe so richtig aufgefallen: 2004 haben wir in unserer Freizeit ein Hallen-Fußballspiel gegen die deutsche Bob-Auswahl ausgetragen. Irgendwann im Spiel habe ich einen Einwurf ausgeführt, der von einem Ende der Halle zum anderen flog. Davon waren alle total beeindruckt und ich habe mich gefragt: Kann ich das anderen nicht auch beibringen? Erstaunlicherweise gab es damals so gut wie keine Fachliteratur zum Thema Einwürfe, sodass ich mit meinem Vorhaben komplett neues Terrain betreten habe.
WIR PROFIS: Es gab also überhaupt kein theoretisches Wissen, auf dem du deine ersten Coachings aufbauen konntest?
Thomas Grønnemark: Nein, ich habe damals innerhalb von sechs Monaten durch Videoanalysen von mir selbst den ersten Einwurfkurs entwickelt, war mir aber selbst nicht ganz sicher, wie gut der funktionieren würde. Trotzdem habe ich ganz selbstbewusst beim dänischen Erstligisten Viborg FF vorgesprochen: Der Klub war damals nicht weit von meinem Wohnort entfernt und wurde tatsächlich mein erster Kunde. Durch mein Training konnte das Team damals sein Einwurfverhalten extrem verbessern und schaffte am Ende der Saison sogar die beste Ligaplatzierung seiner Historie. Wobei ich nicht so vermessen bin, zu behaupten, dass das nur an den Einwürfen lag. Aber grundsätzlich war ich damals schon ziemlich geschockt darüber, wie das Thema Einwürfe im Profifußball behandelt wurde.
WIR PROFIS: Du warst einer der ersten, die sich dem Thema Einwürfe aus trainingsphysiologischer Sicht genähert und das große Potenzial dieser Spielsituationen offengelegt hat.
Thomas Grønnemark: Mir war aufgefallen, dass die meisten Teams ihre Einwürfe einfach herschenkten. Teilweise resultierten nahezu 50 Prozent in gegnerischem Ballbesitz – egal ob es Spiele der dänischen Superliga oder der Bundesliga waren. Das fand ich einfach irre, denn wenn man sich mal überlegt, dieselbe Anzahl Ballverluste würde beim Spiel mit dem Fuß passieren, müsste man die Mannschaft eigentlich vom Spielbetrieb abmelden (lacht). Der nächste Schock war, dass die TV-Kommentatoren das überhaupt nicht angesprochen haben: Schlechte Einwürfe waren einfach kollektiv akzeptiert! Das konnte ich so nicht stehen lassen und habe um 2007 angefangen, mein Training zu verfeinern: Neben langen Einwürfen habe ich angefangen, auch sogenannte schnelle und intelligente Einwürfe zu trainieren.
WIR PROFIS: Sprechen wir zuerst über den langen Einwurf: Ist es die Kraft oder die Technik, die über die Weite des Wurfs entscheidet?
Thomas Grønnemark: Beides, aber am Ende des Tages ist die Technik das entscheidende. Ein kräftiger, explosiver Spieler hat sicher Vorteile bei weiten Einwürfen, aber wenn ich die Wahl zwischen Stärke und Flexibilität habe, würde ich immer letzteres wählen. Denn: Allein durch die Technik können meine Spieler ihre Einwurfweite üblicherweise zwischen 5 und 15 Metern verbessern. Das führt wiederum dazu, dass sich das potenzielle Einwurfareal um mehrere hundert Quadratmeter erhöht – es bieten sich also plötzlich viel mehr Möglichkeiten, den eigenen Einwurf auszuspielen.
WIR PROFIS: Was genau kennzeichnet den schnellen und den intelligenten Einwurf?
Thomas Grønnemark: Das Konzept des schnellen Einwurfs dient bei angreifenden Teams in erster Linie dazu, die Unorganisiertheit des Gegners zu nutzen. Es meint aber auch das schnelle Abdecken und Zustellen des Gegners bei dessen Einwürfen. Beim intelligenten Einwurf – auf Englisch nenne ich ihn „clever throw-in“ – geht es um Dinge wie Raumaufteilung und das Antizipieren gegnerischer Verteidigungsmuster. Diese hängen natürlich stark von der jeweiligen Taktik und Spielformation ab. Deshalb ist mein Einwurfcoaching auch von Team zu Team unterschiedlich, denn ich muss immer auch die jeweiligen Vorgaben des Trainers berücksichtigen.
WIR PROFIS: Wie vermittelst du den Teams dein Wissen über Einwürfe? Ist es wie in der Fahrschule: Erst die Theorie und danach die praktische Anwendung?
Thomas Grønnemark: Das ist von Mannschaft zu Mannschaft unterschiedlich und hängt auch von der Dauer ab, für die ich engagiert wurde. Was man dazu sagen muss: Ich bin kein klassischer „Set-piece coach“, der feste Laufwege oder Bewegungen bei Standardsituationen einstudieren lässt. Stattdessen bringe ich den Spielern lieber bei, selbst zu denken und die Verhaltensmuster der gegnerischen Mannschaft zu analysieren. Denn: Der Gegner zeigt dir, wo die guten Räume sind – ich zeige dir, wie du verschiedene Einwurfarten nutzen kannst, um diese Räume zu nutzen. Wenn ich nur feste Bewegungsmuster eintrainieren lasse, kann der Gegner diese erkennen und absichern. Bleibe ich flexibel und in Bewegung, bin ich hingegen unberechenbar. Dieses Bewusstsein ist die Basis, die ich den Spielern vermittle. Erst danach beginne ich, im Rahmen von Kleinfeldspielen konkrete Einwurfsituationen zu trainieren.
WIR PROFIS: International bekannt wurdest du, als dich Jürgen Klopp zum FC Liverpool geholt hat. Wie kam der Kontakt mit ihm zustande?
Thomas Grønnemark: Bis ich nach Liverpool kam, wollten die meisten Teams mit mir vor allem lange Einwürfe trainieren. Für schnelle und clevere Einwürfe schien sich niemand so recht zu interessieren, was ich schon etwas enttäuschend fand. Im Sommer 2018 klingelte dann eines Tages aus heiterem Himmel mein Telefon – ich war gerade im Sommerurlaub mit meiner Frau und meinen zwei Kindern – und Jürgen Klopp war dran. Er sagte, er hätte ein Interview mit mir gelesen und würde mich gerne nach Melwood, der alten Trainingsanlage des FC Liverpool, einladen. Die ‚Reds‘ hatten damals eine wirklich schlechte Einwurfstatistik: Nur 45,4 % der Einwürfe ohne Druck resultierten in eigenem Ballbesitz, womit sie auf Platz 18 von 20 in der Premier League lagen. Sie waren gerade in der Liga Vierter geworden und hatten das Champions-League-Finale gegen Real Madrid verloren. Jürgen Klopp wusste offenbar, dass vermeintliche Kleinigkeiten wie Einwürfe die letzte Stufe zum ganz großen Erfolg ausmachen können.
WIR PROFIS: In der Saison darauf gewann der LFC die Königsklasse, im Jahr darauf die Premier League …
Thomas Grønnemark: Jürgen und sein Trainerteam hatten vorher bereits selbst versucht, Einwürfe zu trainieren, kamen aber nicht so richtig weiter, also haben sie mich unter Vertrag genommen. Ich habe dann den Fokus auf schnelle und clevere Einwürfe gelegt. Die Verbesserungen wurden auch sehr schnell sicht- und messbar: Im Herbst 2019 veröffentlichte die Plattform Tifo Football eine große Datenanalyse, aus der hervorging, dass Liverpool in meiner ersten Saison die Ballbesitzquote nach Einwürfen von 45 auf 68,4 % steigern und damit im Vergleich mit anderen Premier-League-Teams von Platz 18 auf 1 springen konnte. Wir belegten sogar Platz 2 in ganz Europa, nur der FC Midtjylland aus Dänemark hatte noch bessere Werte – ein Team, mit dem ich zuvor ebenfalls gearbeitet hatte. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich diesen Statistik-Artikel damals sehr viel geteilt habe (lacht).
WIR PROFIS: Zurecht – diese Zahlen klingen beeindruckend. Mit welchen Klubs hast du im Laufe deiner Karriere noch zusammengearbeitet?
Thomas Grønnemark: Das Engagement bei Liverpool war der Durchbruch, seitdem habe ich mit etwa 25 weiteren Klubs und auch ein paar Nationalteams gearbeitet. Nicht ohne Stolz kann ich sagen, dass ich dabei zu 14 Titeln und auch ein paar Aufstiegen in der ganzen Welt beigetragen habe, beispielsweise mit Ajax Amsterdam, Flamengo Rio de Janeiro, Philadelphia Union, dem FC Toulouse, dem FC Midtjylland oder Royale Union Saint-Gilloise.
WIR PROFIS: Bleibt die Frage, warum Einwürfe eine so unterschätzte Stellschraube im Training sind beziehungsweise waren?
Thomas Grønnemark: Ein Grund ist sicher die Tatsache, dass die Datenanalyse im Fußball in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat. Info-Artikel wie der eben erwähnte von Tifo Football haben ein neues Bewusstsein für die Bedeutung von Einwürfen geschaffen und damit natürlich auch mir geholfen, denn das Interesse am schnellen und cleveren Einwurf ist bei den Klubs dadurch viel größer geworden. Vorher wurden Einwürfe eher als „Marginal Gains“ abgetan, also Stellschrauben mit kleinem bis gar keinem Effekt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Im Fußball gibt es pro Spiel etwa 40 bis 60 Einwürfe und die Spielsituationen, die unmittelbar damit zusammenhängen, summieren sich auf bis zu 20 Minuten pro Partie. Der Einfluss auf das Spiel ist also riesig!
WIR PROFIS: Du trainierst mit deinen Teams nicht nur das Verhalten bei eigenen Einwürfen, sondern auch wie man sich bei Einwürfen des Gegners verhält …
Thomas Grønnemark: Genau! Natürlich ist der Handlungsspielraum bei eigenem Einwurf etwas größer, aber durch mannschaftstaktisches Verhalten können auch gegnerische Einwürfe großes Potenzial bieten. Zum Vergleich: In meinen fünf Jahren bei Liverpool haben wir pro Saison zwischen 10 und 15 Tore nach Einwurfsituationen erzielt – und davon meistens drei oder vier nach gegnerischem Einwurf.
WIR PROFIS: Hast du einen Einwurf-Tipp für Profis, den sie sofort – ohne zusätzliches Theoriewissen – im Spiel anwenden können?
Thomas Grønnemark: Einer der häufigsten Fehler bei eigenen Einwürfen ist, dass der Zielspieler – also der Abnehmer des Einwurfs – viel zu nah an den Einwerfenden herangelaufen kommt. Damit machst du das Spielfeld eng und die Wahrscheinlichkeit eines Ballverlustes steigt. Ein weiterer Fehler bei vielen Teams ist, dass sie die Bälle nur die Außenlinie entlang werfen. Hier befinden sich aber viele gegnerische Spieler, es kommt also zwangsläufig zu Zweikämpfen und oft zu Ballverlusten. Es ist also wichtig, dass man zusammen mit seinen Mitspielern die vorhandenen Räume nutzt, statt in die „überfüllten“ Zonen zu gehen. Wie genau das im Detail funktioniert, erkläre ich regelmäßig auf meinen Social-Media-Kanälen. Außerdem haben Spieler und Klubs die Chance, bei mir Online-Kurse zum Thema Einwürfe zu belegen. Und natürlich komme ich, je nach Verfügbarkeit, auch bei interessierten Klubs vorbei.
Infos, Online-Kurse und Blog:
www.linktr.ee/thomasgronnemark
Instagram: @thomas.throwin
Facebook: Thomas Gronnemark
X: @ThomasThrowin
YouTube: Gronnemark's Throw-in Academy
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