Weil bei uns der Spieler als Mensch zählt!
Tarifverträge bieten große Chancen
„Deutscher Fußball hat Aufholbedarf!“
Wenn es darum geht, die Rechte der Spieler zu stärken und besser zu schützen, kann dies über einen firmeneigenen Haustarifvertrag sichergestellt werden. Davon profitieren auch die Klubs. WIR PROFIS sprach daher mit VDV-Justiziar Dr. Frank Rybak über die Gestaltungsmöglichkeiten und den wechselseitigen Nutzen von Haustarifverträgen.
WIR PROFIS: Worin unterscheiden sich zunächst Verbands- und Haustarifverträge?
Dr. Frank Rybak: Auf Arbeitgeberseite können ein Arbeitgeberverband oder ein einzelner Arbeitgeber als Vertragspartei eines Tarifvertrages auftreten. Im ersten Fall spricht man von einem Verbandstarifvertrag, im zweiten Fall von einem Firmen- oder Haustarifvertrag. Ein Haustarifvertrag ist also ein Tarifvertrag, der zwischen einem Arbeitgeber – im Fußball einem Klub – und der Gewerkschaft abgeschlossen wird. Jeder Arbeitgeber und damit jeder Fußball-Klub ist tariffähig und kann seinen eigenen Haustarifvertrag abschließen. Auf eine bestimmte Größe des Klubs, eine bestimmte Rechtsform oder eine bestimmte Spielklassenzugehörigkeit kommt es nicht an.
WIR PROFIS: Für wen gelten die Inhalte eines Haustarifvertrages?
Dr. Frank Rybak: Unmittelbar und zwingend gelten die Inhalte eines Haustarifvertrages für den Arbeitgeber und die Mitglieder der Gewerkschaft, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Schließt also die VDV einen Haustarifvertrag mit einem Klub ab, gelten die Regelungen dieses Tarifvertrages zunächst nur für die Mitglieder der VDV. Typisch ist aber im Arbeitsleben, dass tarifgebundene Arbeitgeber in ihre Arbeitsvertragsformulare eine Bezugnahmeklausel aufnehmen, wonach die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in jedem Fall auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, unabhängig von der Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers.
WIR PROFIS: Was genau kann in einem Haustarifvertrag geregelt werden?
Dr. Frank Rybak: Was die Arbeitsverhältnisse der Spieler betrifft, kann in einem Haustarifvertrag grundsätzlich alles geregelt werden, was auch Gegenstand eines Verbandstarifvertrages sein kann. Typische Regelungen in einem Tarifvertrag sind beispielsweise Bestimmungen betreffend Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz, Vergütungen, Sonderleistungen wie ein 13. Monatsgehalt, Entgeltfortzahlung, Urlaub, Arbeitszeit, Kündigungen oder auch betriebliche Altersversorgung. Ein Haustarifvertrag gibt einem Klub die Möglichkeit, ganz individuell Regelungen nach seinen eigenen Rahmenbedingungen und Bedürfnissen zu treffen und sich dadurch auch von anderen Klubs abzugrenzen. Demgegenüber geht es bei einem Verbandstarifvertrag vor allem darum, flächendeckend einheitliche Mindestarbeitsbedingungen zu vereinbaren. Elemente, die eine ganze Liga oder spieltechnische Dinge betreffen, regelt man sinnvoller in einem Verbandstarifvertrag.
WIR PROFIS: Welche Vorteile haben Klubs, die Haustarifverträge mit der VDV abschließen?
Dr. Frank Rybak:Generell ist es so, dass für Regelungen in einem Tarifvertrag ein wesentlich weiterer rechtlicher Gestaltungsspielraum besteht als für Regelungen in einem Arbeitsvertrag. Mit anderen Worten: In einem Tarifvertrag können Dinge rechtssicher geregelt werden, die der wirksamen Regelung in einem Einzelarbeitsvertrag nur schwer oder überhaupt nicht zugänglich sind. Das Instrument des Tarifvertrages eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die in Deutschland bislang noch nicht genutzt wurden. Das ist umso weniger verständlich, als von Klub- und Verbandsvertretern häufig geäußert wird, dass das allgemeine, für jeden Arbeitnehmer geltende Arbeitsrecht – dem auch Berufsfußballspieler unterfallen – den Besonderheiten des Sports nicht ausreichend gerecht wird.
WIR PROFIS: Welche Beispiele sind hier besonders erwähnenswert?
Dr. Frank Rybak:Betrachten wir zunächst das AGB-Recht. Alle Klauseln in den Muster-Arbeitsverträgen der Verbände für Lizenzspieler, Vertragsspieler und Jugendspieler sind sogenannte „Allgemeine Geschäftsbedingungen“. Das bedeutet, dass die Klauseln unwirksam sind, wenn sie den Spieler unangemessen benachteiligen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Wirksamkeit einer Reihe von Klauseln in den Muster-Arbeitsverträgen höchst problematisch, beispielsweise die Regelung, dass Lizenzspieler unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sind, mit der zweiten Mannschaft zu trainieren und zu spielen, die Vertragsstrafenregelung für Lizenzspieler oder auch die Regelung betreffend Persönlichkeitsrechte. Die Wirksamkeit dieser Klauseln wird in der Praxis immer wieder in Frage gestellt, was eine erhebliche Rechtsunsicherheit sowohl für die Spieler als auch für die Klubs bedeutet. Demgegenüber unterliegen Bestimmungen in Tarifverträgen nicht der AGB-Kontrolle auf Unangemessenheit.
WIR PROFIS: Was versteht man in diesem Zusammenhang unter tarifdispositivem Gesetzesrecht?
Dr. Frank Rybak: Tarifdispositives Gesetzesrecht sind Gesetzesnormen, die Abweichungen zu Ungunsten des Arbeitnehmers nur durch Tarifvertrag, nicht aber durch Arbeitsvertrag zulassen. Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund Tarifdispositivität ergeben sich beispielsweise im Urlaubsrecht, bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und im Arbeitszeitrecht. So könnte in einem Haustarifvertrag beispielsweise geregelt werden, dass Prämienzahlungen bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes nicht berücksichtigt werden und stattdessen die entsprechenden Beträge in eine betriebliche Altersvorsorge investiert werden.
WIR PROFIS: Bei einigen Klubs gibt es mittlerweile Betriebsräte, so beim FC St. Pauli, Borussia Dortmund und jetzt auch beim HSV. Sind diese Betriebsräte auch für die Spieler zuständig, und was kann insoweit in einem Haustarifvertrag geregelt werden?
Dr. Frank Rybak:Grundsätzlich wählen alle Arbeitnehmer eines Betriebes und damit auch die Spieler den Betriebsrat, der dann auch für alle Arbeitnehmer des Betriebs zuständig ist. Ist ein Betriebsrat gewählt, sind seine gesetzlichen Mitbestimmungsrechte sowohl vom Betriebsrat als auch vom Klub zu beachten. Ein Verzicht des Betriebsrats auf seine Beteiligungsrechte im Vorhinein ist nicht möglich. So ist beispielsweise ein nach den gesetzlichen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gebildeter Betriebsrat bei einem Fußball-Klub wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch vor jeder Einstellung eines Spielers vom Arbeitgeber zu unterrichten und um seine Zustimmung zu bitten, die der Betriebsrat aus bestimmten Gründen verweigern kann. Es liegt auf der Hand, dass die Standard-Konstruktion des Betriebsverfassungsgesetzes für Wahl und Rechte eines Betriebsrates im Profifußball einigen Sprengstoff in sich trägt. Durch einen Haustarifvertrag kann dem begegnet werden: Das Betriebsverfassungsgesetz lässt es zu, dass durch Tarifvertrag andere als die gesetzlichen Arbeitnehmervertretungsstrukturen eingeführt oder zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretungen gebildet werden.
WIR PROFIS: Kann ein Haustarifvertrag auch Regelungen für minderjährige Spieler enthalten?
Dr. Frank Rybak:Ja. Auch Jugendspieler, die einen Fördervertrag abgeschlossen haben, sind Arbeitnehmer. Gerade auch im Hinblick auf Jugendspieler sind Haustarifverträge für Klubs besonders interessant. Die Klubs stehen nicht nur national, sondern auch international im Wettbewerb um die besten Nachwuchsspieler. Da sind die Regelungen des Muster-Fördervertrages häufig wenig attraktiv. Bei speziellen Regelungen für Nachwuchsspieler in einem Haustarifvertrag kann ein Klub verbindlich und rechtssicher seine eigenen Standards setzen und sich damit attraktiver machen. Hier sind sicherlich auch angemessene, der Laufzeit des Fördervertrages gerecht werdende Mindestvergütungen von Bedeutung, aber auch konkrete Regelungen zu Schul- und Ausbildungsförderung. Darüber hinaus kann man an eine gewisse wirtschaftliche Absicherung für den Fall des Karriereendes denken. Wichtig ist auch der Hinweis, dass Ausbildungsentschädigungen in einem Tarifvertrag besser geregelt werden können als in Verbandsregelwerken oder durch Verträge zwischen Klubs und Verbänden. Insoweit gibt es nur eine eingeschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle, auch findet das Kartellrecht keine Anwendung.
WIR PROFIS: Inwieweit besteht während der Laufzeit von Haustarifverträgen Friedenspflicht – also ein Verbot der Teilnahme an Arbeitskämpfen?
Dr. Frank Rybak: Tarifverträge, auch Haustarifverträge, werden typischerweise für eine feste Laufzeit abgeschlossen, während der sie nicht kündbar sind. Die Friedenspflicht verbietet Arbeitskampfmaßnahmen, sprich einen Streik, zeitlich für die Dauer des Tarifvertrages, sie beginnt also mit seinem Abschluss und endet mit seinem Ablauf. Es ist der Sinn eines Tarifvertrages, Arbeitskämpfe um die in dem Vertrag geregelten Fragen zu verhindern.
WIR PROFIS: Was müssen Spieler und Klubs veranlassen, um Haustarifverträge vor Ort auf den Weg zu bringen?
Dr. Frank Rybak:Da – wie erwähnt – jeder einzelne Klub tariffähig und die VDV eine tariffähige Gewerkschaft ist, sind zur Vorbereitung des Abschlusses eines Haustarifvertrages weder auf Seiten der Klubs noch auf Seiten der Spieler besondere strukturelle Maßnahmen erforderlich. Da es bislang keine Haustarifverträge im deutschen Fußball gibt,
denke ich, dass es sehr sinnvoll ist, dass sich Spieler und Klubs zunächst intensiv informell darüber austauschen, worin Sinn und Nutzen eines Haustarifvertrages für beide Parteien liegen können. Rechtlich betrachtet können beide Seiten jederzeit Verhandlungen über einen Haustarifvertrag aufnehmen.
WIR PROFIS: In vielen anderen europäischen Ländern sind Tarifverträge im Fußball mit umfangreichen Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder auch zu Sozial- und Karrierefonds selbstverständlich. Warum sollte der deutsche Fußball jetzt nachziehen?
Dr. Frank Rybak:Tarifverträge sind in fast allen großen Fußballnationen Standard. Hier hat der deutsche Fußball noch Aufholbedarf. Durch den Abschluss von Tarifverträgen kann man den Besonderheiten des Berufsfußballs gerecht werden und die rechtlichen Gestaltungsspielräume vollständig nutzen. Vor allem die Möglichkeit, in Tarifverträgen von gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen, eröffnet den Beteiligten viele bislang ungenutzte Handlungsspielräume.