Weil bei uns der Spieler als Mensch zählt!
Suchtberater und Kompetenztrainer Thomas Patzelt
Glücksspielsucht: „Reden ist die beste Medizin“
Thomas Patzelt, Gründer des Vereins spielfrei24 e.V. und des Beratungsunternehmens „Denk in Lösungen“, sprach als (ehemaliger) Betroffener mit WIR PROFIS über die Krankheit Glücksspielsucht.
WIR PROFIS: Herr Patzelt, Sie bezeichnen sich als „glücksspielsüchtig, aber spielfrei“. Bedeutet das, dass Glücksspielsucht im eigentlichen Sinne unheilbar ist?
Thomas Patzelt: Genau, es ist eine Krankheit, die man nicht heilen, aber stoppen kann. Das ist allerdings ein Prozess, der sehr lange dauert – so wie auch der Weg in die Sucht nicht von jetzt auf gleich passiert. Am Ende ist es auch eine Entscheidung gegen das Spielen, die jeden Tag aufs Neue getroffen werden muss. So wie ich es seit mittlerweile 13 Jahren tue.
WIR PROFIS: Bevor wir darüber sprechen, wie die Krankheit zu stoppen ist – wie entsteht überhaupt Glücksspielsucht?
Thomas Patzelt: Der Prozess lässt sich in drei Phasen unterteilen: Gewinnphase, Verlustphase und Verdrängungsphase. Alles beginnt mit dem ersten Gewinn und dem damit verbundenen Glücksgefühl, durch das man „angefixt“ wird – um in der Suchtsprache zu bleiben. Auf der Suche nach dem nächsten Glücksgefühl werden dann höhere Geldbeträge verspielt, die man sich wiederum zurückholen will und dadurch immer mehr Geld einsetzt. Das führt zu einer Regelmäßigkeit, die schließlich den Alltag massiv beeinträchtigt.
WIR PROFIS: Inwiefern?
Thomas Patzelt: Man versucht, sein Verhalten schönzureden beziehungsweise durch Lügen vor dem Umfeld geheim zu halten. Bei allem, was man tut, stehen Angst und Scham im Vordergrund. Es geht nur darum zu vermeiden, dass jemand hinter das Geheimnis kommt. Dabei tut man Dinge, die nicht mehr normal, sondern krankhaft sind. Andere Lebensbereiche und die Personen um einen herum werden dabei immer unwichtiger.
WIR PROFIS: Nicht umsonst bezeichnen Sie die Angehörigen eines Glücksspielsüchtigen als „Opfer“.
Thomas Patzelt: Genau, denn die leiden in der Regel massiv mit, vor allem finanziell. Im Durchschnitt zieht ein Kranker etwa zehn weitere Personen mit ins Boot – der Wirkungskreis kann also riesig sein! Es entsteht dann eine Art Co-Abhängigkeit, bei der das Umfeld die Sucht des Kranken zusätzlich fördert und so den Leidensweg verlängert. Hilflosigkeit ist bei den Gesprächen mit den Angehörigen ein großes Thema, genauso wie Angst und der Scham.
WIR PROFIS: Begünstigen Sportwetten die Entstehung von Glücksspielsucht?
Thomas Patzelt: Das Tückische an Sportwetten ist, dass sie vermitteln, man könne durch Know-how seine Gewinnchancen erhöhen. Gerade Personen, die selbst Sportler sind, glauben dann vielleicht, das Ergebnis beeinflussen zu können. Dazu kommt, dass es gerade im Fußball ja eher als positive Eigenschaft gilt, nicht verlieren zu können und dranzubleiben. Beim Glücksspiel sind aber genau diese Fast-Gewinne, die einem suggerieren „Beim nächsten mal klappt’s“, besonders fatal.
WIR PROFIS: Sind Fußballprofis also möglicherweise besonders gefährdet für Glücksspielsucht – auch wegen ihres höheren Einkommens?
Thomas Patzelt: Die Beschaffung des „Stoffs“, also des Geldes, mag für Fußballprofis vielleicht zunächst einfacher sein, aber grundsätzlich ist die Krankheit einkommensunabhängig. Mir hätten Sie damals eine Million auf den Tisch legen können – ich hätte alles verzockt. Man verliert mit der Zeit auch einfach den Bezug zum Geld. Erst recht, wenn man glaubt, genug davon zu haben. Zumal es gerade im Online-Bereich nach oben hin oft keine Grenzen gibt, was die Einsätze angeht.
WIR PROFIS: Der von Ihnen gegründete Verein spielfrei24 e.V. hilft Betroffenen dabei, die Glücksspielsucht zu stoppen. Was ist der erste Schritt aus der Krankheit?
Thomas Patzelt: Entscheidend ist, sich zu outen! Hierzu bieten wir Selbsthilfegruppen an, in denen Betroffene und Angehörige die Chance haben, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und offen über das zu reden, was sie getan haben. Es dauert natürlich, sich zu überwinden – im Schnitt outet sich ein Betroffener erst nach etwa zehn Jahren. Danach ist es wichtig, die Selbsthilfegruppen nicht ein- oder zweimal zu besuchen, sondern regelmäßig. Denn: Jede Sucht ist nur die Spitze eines Eisbergs, darunter gibt es meist viele weitere Baustellen, die es zu bearbeiten gilt. Ich sage immer: Reden ist die beste Medizin. Der Austausch mit uns ist in Coronazeiten übrigens auch online möglich!
WIR PROFIS: Welche Hilfe können Süchtige bei Ihnen noch in Anspruch nehmen?
Thomas Patzelt: Wir arbeiten mit vielen Kooperationspartnern zusammen, die wir unseren Teilnehmern vermitteln können. Dazu gehören Suchtexperten, aber auch Rechtsanwälte, etwa wenn es um Beschaffungskriminalität geht, oder Insolvenzverwalter, falls die Betroffenen stark verschuldet sind. Also alle, die mit der Thematik zu tun haben können.
WIR PROFIS: Durch den Glücksspielstaatsvertrag wurde 2012 der Sportwettenmarkt reguliert geöffnet, um den Spielbetrieb in geordnete Bahnen zu lenken. Die richtige Entscheidung?
Thomas Patzelt: Alles hat seine Vor- und Nachteile. Meiner Meinung nach bringt Aufklärung viel mehr als Verbote, was man ja auch am Beispiel des Drogenhandels sieht. Allerdings beobachte ich auch das große Aufkommen von Wettanbietern, gerade beim Fußball, mit Sorge. Diese Unternehmen wollen natürlich alle Geld verdienen und holen sich deshalb die besten Leute ins Team. Bei Online-Spielen werden teilweise Psychologen konsultiert, die gegen Bezahlung bei der Erstellung mithelfen. Diese Spiele sind mitunter bewusst so gemacht, dass sie zu einer Sucht führen können.
WIR PROFIS: Glücksspielsucht ist seit 2001 eine anerkannte Krankheit. Warum wird sie unterm Strich von der Öffentlichkeit immer noch nicht als solche wahrgenommen?
Thomas Patzelt: Weil Glücksspielsucht von vielen nicht als Krankheit, sondern als Charakterschwäche gesehen wird. Zudem unterschätzen viele, wie weit verbreitet sie ist: Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland mindestens eine Million Menschen glücksspielsüchtig sind. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel, viel höher. Und da ein Betroffener im Schnitt zehn Personen mit sich zieht, kann man ungefähr erahnen, wie verwurzelt das Thema in der Bevölkerung ist.
Kontakt- und Informationsstelle für Betroffene:
Spielfrei24
Telefon: 06508-9 19 94 19
E-Mail:dieefir@enislo4fp.2