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VDV-Partner: VBG warnt vor unterschÀtzten Kopfverletzungen

Bei bagatellisierten GehirnerschĂŒtterungen drohen schwere FolgeschĂ€den

Kopfverletzungen werden im Fußball immer noch unterschĂ€tzt, dabei können sie bei falscher oder unzureichender Behandlung ernste FolgeschĂ€den nach sich ziehen. Norbert Moser, Leiter des PrĂ€ventionsfeldes Sport bei der VBG, sprach mit WIR PROFIS ĂŒber Risiken und Folgen von Kopfverletzungen sowie ĂŒber den von der VBG und dem Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) entwickelten „Algorithmus zur praxisgerechten Diagnostik und Therapie bei SchĂ€del-Hirn-Traumen im Sport“.

WIR PROFIS: Herr Moser, wie „gefĂ€hrlich“ ist der Fußball im Hinblick auf Kopfverletzungen im Vergleich zu anderen Sportarten?

Norbert Moser: Das Verletzungsrisiko im Fußball fĂŒr Kopfverletzungen ist insgesamt moderat einzustufen. Vergleichbar in etwa mit dem Risiko im Handball oder Basketball, aber bei Weitem nicht so hoch wie im Eishockey. In der Saison 2014/2015 waren 6,2 Prozent der Verletzungen Kopfverletzungen, 2015/2016 waren es 6,6 Prozent.

WIR PROFIS: Gibt es aussagekrĂ€ftige Statistiken, die Auskunft ĂŒber Verletzungsarten, -hĂ€ufigkeit und -ursachen sowie eventuelle FolgeschĂ€den im Fußball geben?

Norbert Moser: Etwa jede fĂŒnfte bis sechste Kopfverletzung ist eine SchĂ€del-Hirn-Verletzung. SchĂ€delprellungen, Hautverletzungen, typischerweise Kopfplatzwunden, aber auch Frakturen im Gesichtsbereich sind insgesamt etwas hĂ€ufiger zu beobachten. Allerdings werden viele leichte SchĂ€del-Hirn-Verletzungen weder vom Sportler noch vom medizinischen Personal als solche wahrgenommen, weil auffĂ€llige Symptome wie Erbrechen und Bewusstlosigkeit nur selten zu beobachten sind. Insofern dĂŒrfte gerade bei dieser Verletzungsart eine sehr hohe Dunkelziffer vorliegen. Der neue VBG Sportreport 2017 wird explizit das Schwerpunktthema SchĂ€del-Hirn-Verletzungen in den Teamsportarten aufarbeiten. Er wird im FrĂŒhsommer 2017 veröffentlicht.

WIR PROFIS: Und wie sieht es mit LangzeitschÀden im Vergleich zu anderen Sportarten aus? 

Norbert Moser: GrundsĂ€tzlich hĂ€ngen LangzeitschĂ€den bei gleichartiger Symptomatik nicht von der Sportart ab, sofern die AkutschĂ€den ausgeheilt sind; natĂŒrlich sind in einigen Sportarten weitere SHT wahrscheinlicher als in anderen. Die Datenlage zu Langzeitfolgen von SchĂ€del-Hirn-Verletzungen ist leider insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind wissenschaftlich bereits zahlreiche Hinweise dafĂŒr zu finden, dass wiederholte, leichte SchĂ€del-Hirn-Verletzungen, die Wahrscheinlichkeit chronisch-degenerativer Prozesse im Gehirn deutlich erhöhen. Mögliche Krankheitsbilder wie Chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE), Depressionen oder auch PersönlichkeitsverĂ€nderungen manifestieren sich aber erst Jahre spĂ€ter und sind hĂ€ufig erst nach dem Tod zu diagnostizieren. Dies macht die wissenschaftliche Aufarbeitung der LangzeitschĂ€den so schwierig.

WIR PROFIS: Wie ist die Gefahr durch KopfbÀlle einzuschÀtzen, gerade bei jungen Spielern, deren Gehirn noch nicht ausgereift ist?

Norbert Moser: Man muss hier deutlich differenzieren zwischen KopfbĂ€llen, also dem zielgerichteten Spielen des Balles mit dem Kopf, und Kopfballduellen als Zweikampfvariante. FĂŒr erstere gibt es noch keine konkreten wissenschaftlichen Belege, dass hiervon kurzoder langfristig eine Gefahr ausgehen könnte. Allerdings ist auch noch kein gesicherter Gegenbeweis vorhanden. Will heißen: Hier ist sicherlich noch ein konkreter Studienbedarf im Fußball vorhanden. Kopfballduelle hingegen sind kritische Zweikampfsituationen in denen sich hĂ€ufig Verletzungen ereignen, allerdings nicht ausschließlich des Kopfes, sondern auch der unteren ExtremitĂ€ten, zum Beispiel bei den Landungen nach KopfbĂ€llen. 

WIR PROFIS: Nach GehirnerschĂŒtterungen oder Ă€hnlich schweren Kopfverletzungen besteht das Risiko des „Second Impact Syndrome“. Was genau sind die Risiken und SpĂ€tfolgen bei einer solchen zweiten ErschĂŒtterung?

Norbert Moser: Der VBG-Algorithmus wurde auch mit dem Ziel entwickelt, das Risiko des „Second Impact Syndrome“ deutlich zu reduzieren. Bei korrekter Behandlung – das heißt frĂŒhes Erkennen und adĂ€quate Behandlung – hat eine GehirnerschĂŒtterung, also ein leichtes SchĂ€del-Hirn-Trauma, eine sehr gute Prognose. In der Mehrzahl der FĂ€lle heilt sie in einem Zeitraum von sieben bis zehn Tagen aus. In einigen FĂ€llen kann die Erholung aber auch einen lĂ€ngeren Zeitraum, mitunter Monate, in Anspruch nehmen. Bei einer GehirnerschĂŒtterung ist es wichtig, dass das Gehirn anfangs konsequent Ruhe erhĂ€lt und die nachfolgende Belastungssteigerung schrittweise erfolgt. Denn obwohl gerade das Gehirn von jungen Menschen eine sehr gute ErholungsfĂ€higkeit besitzt, kann eine weitere Verletzung des Gehirns wĂ€hrend der Genesungszeit im schlimmsten Fall zum sogenannten „Second Impact Syndrome“ (SIS) fĂŒhren. Das „Second Impact Syndrome“ kann entstehen, wenn eine erste GehirnerschĂŒtterung noch nicht vollstĂ€ndig ausgeheilt ist und eine weitere, zweite GehirnerschĂŒtterung hinzukommt. BewusstseinseinschrĂ€nkungen bis zur Bewusstlosigkeit und zum Koma sowie eine erhöhte Sterberate und schwere Behinderungen werden als Folge eines SIS in der Fachliteratur benannt. Die genauen UmstĂ€nde, die zu einem SIS fĂŒhren, sind noch nicht hinreichend bekannt. Es bedarf weiterer intensiver Forschung, um die Ursachen und SpĂ€tfolgen des „zweiten Schlags“ besser verstehen zu können. Der beste Schutz vor einem SIS ist das Wissen um mögliche Risiken und die verantwortungsvolle Diagnose und Behandlung von SchĂ€del-Hirn-Verletzungen im Fußball.

WIR PROFIS: Die VBG hat im vergangenen Jahr zusammen mit dem Unfallkrankenhaus Berlin den „Algorithmus zur praxisgerechten Diagnostik und Therapie bei SchĂ€del-Hirn-Traumen im Sport“ vorgestellt. Wie genau findet dieser zum Beispiel im Fußball Anwendung? 

Norbert Moser: Der VBG-Algorithmus informiert die handelnden Personen im Fußball von der vorsaisonalen Baseline-Untersuchung ĂŒber relevante Diagnose- und Behandlungsmaßnahmen bis zum Return-to-Competition. Zur EinschĂ€tzung, ob wĂ€hrend eines Spiels oder im Training ein SchĂ€del-Hirn-Trauma aufgetreten ist, empfiehlt unser Algorithmus den Einsatz der „Concussion Recognition Tool-Taschenkarte“ des Bundesinstituts fĂŒr Sportwissenschaft. Aufgrund der einfachen Handhabung kann die Taschenkarte auch von nicht medizinisch ausgebildeten Personen, unter anderem Trainer, angewandt werden. ErhĂ€rtet sich der Verdacht auf ein SchĂ€del-Hirn-Trauma, navigiert der Algorithmus je nach Verletzungsschwere durch alle erforderlichen Diagnoseund Behandlungsmaßnahmen. Anschließend kann entsprechend der Return-to-Competition-Leitlinie fĂŒr den Spieler eine gefahrlose Wiederaufnahme des Trainingsund Spielbetriebs sichergestellt werden.

Wir Profis: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um noch auf dem Spielfeld eine Schnellerkennung von GehirnerschĂŒtterungen und SchĂ€del-Hirn-Traumen sicherzustellen?

Norbert Moser: Einfache Möglichkeiten sind zum Beispiel die SCAT-Pocket-Karte oder die App „GET – Gehirn ErschĂŒttert? TestApp“ der Hannelore-Kohl-Stiftung, jeweils als Verdachtseinstufung durch Laien. Hinzu kommen neurologische Diagnoseverfahren durch Ärzte, zum Beispiel SCAT oder King-Devick-Test. Am wichtigsten ist das konsequente Einhalten der Return-to-Competition-Leitlinien, die bereits seit Jahren eindeutig formuliert und anerkannt sind, allerdings im Fußball noch eine geringe Wahrnehmung und Verbreitung aufweisen.

Wir Profis: Welche konkreten Forderungen gibt es zur Gefahrenabwehr von Kopfverletzungen an Fußballklubs?

Norbert Moser: Am wichtigsten, neben einem grundsĂ€tzlichen Fair-Play-Kodex im Verein, Verband und in der Öffentlichkeit – Aktionen gegen den Kopf sind tabu – dĂŒrfte die Sensibilisierung der Vereine, Fußballmediziner und auch Spieler dafĂŒr sein, dass SchĂ€del-Hirn-Verletzungen, die hĂ€ufig als GehirnerschĂŒtterung bagatellisiert werden, eben keine solche Bagatelle sind, sondern ernsthafte Verletzungen, die entsprechend rehabilitiert werden mĂŒssen. Mit der stĂ€rkeren Ahndung des Armeinsatzes im Kopfballduell, der Drei-Minuten-Regel und der StĂ€rkung des Mannschaftsarztes – nur er darf ĂŒber die RĂŒckkehr aufs Spielfeld entscheiden – sind bereits einige Maßnahmen getroffen. Diese gilt es nun allerdings auch konsequent einzuhalten und umzusetzen. Insbesondere die DreiMinuten-Regel findet zumindest in unserer Wahrnehmung noch nicht wirklich Anwendung. Nach einem SHT ist die Umsetzung der international anerkannten Returnto-Competition-Leitlinien erforderlich. Mindestens sechs Tage mĂŒssen vergehen, um wieder voll einsatzfĂ€hig zu sein. Je nach Symptomatik kann die Zeitspanne auch lĂ€nger sein.

Wir Profis: Welche PrĂ€ventionsmöglichkeiten sind fĂŒr Spieler denkbar? Gibt es spezielles Training oder ist am Ende der Helm die einzig beruhigende Lösung?

Norbert Moser: Studien aus anderen Kontaktteamsportarten wie zum Beispiel dem Rugby zeigen, dass auch im Bereich der Zweikampf-Kontaktverletzungen zum Beispiel durch verbesserte Athletik und Technik, aber vor allem auch SituationsverstĂ€ndnis und Zweikampfverhalten prĂ€ventives Potenzial vorhanden ist. Ein Helm ist im Fußball grundsĂ€tzlich erlaubt. Es gilt aber zu bedenken, dass hiermit zusĂ€tzliche Gefahren fĂŒr Gegenund Mitspieler entstehen können oder das eigene oder fremde Spiel aggressiver oder risikofreudiger ausfallen kann, was das Verletzungsrisiko letztlich sogar erhöhen wĂŒrde. Eventuell können einzelne Spieler einen weichen Kopfschutz nutzen; am ehesten sinnvoll fĂŒr Torleute oder Spieler mit entsprechenden VorschĂ€den. Ansonsten sollten die Schiedsrichter eine klare Linie bei strafbaren Aktionen gegen den Kopf fahren.

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