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Marion Sulprizio und Dr. Fabian Pels im Interview

Cybermobbing und Social-Media-Angriffe im Sport: „Niemand muss das alleine aushalten“

Profis aller Altersgruppen sehen sich verbalen Attacken lÀngst nicht mehr nur im Stadion ausgesetzt. Durch das enorme Wachstum sozialer Medien hÀufen sich persönliche Angriffe auf Instagram, TikTok und Co. WIR PROFIS sprach mit Marion Sulprizio und Dr. Fabian Pels vom Psychologischen Institut der Sporthochschule Köln, was in der sportpsychologischen Praxis zum Umgang mit Cybermobbing und Hate Speech empfohlen wird.

WIR PROFIS: Wie prÀsent ist das Thema Cybermobbing aus sportpsychologischer Sicht?

Marion Sulprizio: Es wird immer prĂ€senter und gehörtmittlerweile leider zum Alltag eines Leistungssportlers dazu. Dadurch, dass die Zahl der sozialen KanĂ€le stetig wĂ€chst – erst Facebook, dann Instagram, jetzt TikTok – gelangen die Absender:innen immer schneller und direkter an die Opfer heran. Die Wucht von Hassbotschaften ist dann natĂŒrlich viel grĂ¶ĂŸer, als wenn jemand diese zum Beispiel wĂ€hrend des Spiels von der TribĂŒne ruft.

WIR PROFIS: Welche Reaktionen erleben Sie bei den Betroffenen ĂŒblicherweise auf solche Hassbotschaften?

Fabian Pels: Das hĂ€ngt ganz davon ab, wie die betroffene Person die Nachricht subjektiv bewertet und welche Emotionen sie hervorruft. Wird ein Spieler bedroht, reagiert er natĂŒrlich oftmals mit Angst; bei Beleidigungen sind vielleicht eher Trauer und Wut das vorherrschende GefĂŒhl. Es gibt aber auch Spieler, die von vorneherein in der Lage sind, aus solchen Angriffen Motivation zu ziehen.

WIR PROFIS: Zweifellos ein sehr konstruktiver Umgang mit Hate Speech – lĂ€sst sich so etwas erlernen?

Marion Sulprizio: Ja! In der Psychologie spricht man dabei vom sogenannten Aktivierungsniveau: Wer negatives Feedback in positive Leistungen ummĂŒnzen will, muss seine Aktivierung – also den Zustand der Erregung – regulieren und steuern lernen.

Fabian Pels: Eine mögliche Strategie hierfĂŒr ist beispielsweise das Umbewerten von Situationen: Anstatt etwa aus einem persönlichen Angriff den RĂŒckschluss „Ich bin schlecht“ zu ziehen, wĂ€re auch die Folgerung „Ich bin offenbar so gut, dass ich Aufmerksamkeit auf mich ziehe“ legitim. Ich erinnere da gerne an den frĂŒheren Spieler Ulf Kirsten aus der ehemaligen DDR, der laut eigener Aussage immer gemerkt hat, dass er schlecht spielt, wenn die gegnerischen Fans ihn nicht als „Stasi-Sau“ beschimpft haben.

WIR PROFIS: Wobei Cybermobbing natĂŒrlich nicht nur bei guten Leistungen, sondern eben auch als Reaktion auf sportliche SchwĂ€chephasen oder sogar als blanker Rassismus auftritt. Welche Verhaltenstipps geben Sie in solchen FĂ€llen?

Marion Sulprizio: Bei rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Angriffen kann es helfen, die entsprechende Nachricht einfach öffentlich zu machen. Prominente Beispiele sind der Handball-Nationaltrainer AlfreĂ° GĂ­slason oder der BVB-Spieler Jude Bellingham, die Hassnachrichten in ihren eigenen Netzwerken öffentlich geteilt und dafĂŒr viel Zuspruch erhalten haben. So eine soziale UnterstĂŒtzung kann fĂŒr den Athleten sehr angenehm sein, wobei hierfĂŒr zugegebenermaßen natĂŒrlich eine entsprechende Reichweite vorhanden sein muss.

Fabian Pels: Manchmal kann es auch helfen, wenn man versucht, sich die Motive der TĂ€ter bewusst zu machen, um damit den Vorfall zu relativieren und abzupuffern. Oftmals wird dann nĂ€mlich deutlich, dass es gar nicht um einen selbst geht, sondern es eher die Absender sind, die ein Problem haben: Seien es psychische Störungen, das Ausleben aufgestauter Emotionen oder der Versuch, die eigene Position aufzuwerten – beispielsweise wenn die Beleidigungen durch AnhĂ€nger des gegnerischen Teams erfolgen.

WIR PROFIS: Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es fĂŒr Profis, um Angriffe von vorneherein abzuwehren?

Marion Sulprizio: Aus technischer Sicht wĂ€re es natĂŒrlich eine einfache Lösung, die Kommentarfunktion in den jeweiligen KanĂ€len zu deaktivieren oder die Pflege der Social-Media-Plattformen in fremde HĂ€nde zu geben. Wir sehen die Lösung aber nicht so sehr in der Intervention, sondern vielmehr in der PrĂ€vention.

WIR PROFIS: Inwiefern?

Marion Sulprizio: Beispielsweise durch Schulungen, in denen vermittelt wird, wie man die eigenen Ressourcen und die Stressresistenz nachhaltig stĂ€rkt, um mit Ă€ußeren Angriffen besser umgehen zu können. Solche Workshops werden beispielsweise von der Initiative mentaltalent in NRW bereits durchgefĂŒhrt: Hier geht es darum, eigene GlaubenssĂ€tze zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu justieren. Sie bestimmen nĂ€mlich, welche Emotionen die Angriffe bei einem hervorrufen.

Fabian Pels: Das kann durch das bereits angesprochene Relativieren und Umdeuten von Sachverhalten geschehen, aber auch bestimmte Entspannungstechniken können die Stressresistenz nachhaltig stÀrken.

WIR PROFIS: WĂŒrden Sie in besonders schlimmen FĂ€llen von Cybermobbing zusĂ€tzlich dazu raten, den juristischen Weg einzuschlagen?

Fabian Pels: Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive wĂ€re ein juristischer Weg natĂŒrlich immer gut zum Zweck der Strafverfolgung. Der Effekt eines juristischen Weges auf die betroffene Person hĂ€ngt aber tatsĂ€chlich vom Einzelfall ab: Manche Athleten wollen sich nicht so intensiv mit dem Geschehenen auseinandersetzen; fĂŒr sie wĂ€re es kontraproduktiv, weil der mitunter langwierige Rechtsweg natĂŒrlich viele negative Emotionen wecken kann. Andere haben wiederum ein so großes GerechtigkeitsbedĂŒrfnis, dass sie das brauchen, um mit der Sache abschließen zu können.

Marion Sulprizio: Wozu man jedoch pauschal raten kann, ist, dass sich Betroffene, die unter Cybermobbing-Angriffen leiden, jemandem anvertrauen. Das muss kein Jurist sein, sondern kann auch ein Trainer, Betreuer oder Erziehungsberechtigter sein – irgendeinen Ansprechpartner gibt es immer. Niemand muss solche Angriffe alleine aushalten!

 

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