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Seelische Gesundheit

Profis brauchen eine „Exit-Strategie“

Nicht nur aus finanzieller Sicht ist es entscheidend, sich frĂŒhzeitig ĂŒber die Karriere nach der Karriere Gedanken zu machen. Neueste Studien zeigen, dass viele Ex-Profis nach dem Ende ihrer aktiven Zeit an seelischen BeeintrĂ€chtigungen leiden. WIR PROFIS sprach mit der Diplom-Psychologin Marion Sulprizio – GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der von der VDV mitinitiierten Initiative MENTAL GESTÄRKT – darĂŒber, wie diese psychischen Probleme zustande kommen – und sie sich bestenfalls verhindern lassen.

WIR PROFIS: Internationale Erhebungen, unter anderem der FIFPRO, belegen, dass sowohl Aktive als auch Ex-Profis an psychischen Problemen leiden. Das trifft besonders dann zu, wenn sie eine schwere Verletzung erlitten und/oder gerade ihre Karriere beendet haben. Wie lÀsst sich das psychologisch erklÀren?

Marion Sulprizio: Ein Fußballer definiert einen großen Teil seiner IdentitĂ€t ĂŒber den Sport. In dem Augenblick, in dem er verletzt ist oder seine Karriere beenden muss, fĂ€llt das natĂŒrlich alles weg. Die Betroffenen empfinden diesen Bruch mental nicht als Pause im Sinne einer Erholung, sondern vielmehr als einen belastenden Stressfaktor. FĂŒr sie ist es ein Loch, in das sie fallen. Dazu kommt oft Unsicherheit: Wie geht es weiter? Und: Geht es ĂŒberhaupt weiter? Wie lange muss ich pausieren? Treibt man es auf die Spitze, kann man sagen: Da bricht zunĂ€chst einmal die Welt des Spielers zusammen.

WIR PROFIS: Bedeutet das, dass verletzte Spieler nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch betreut werden mĂŒssen?

Mario Sulprizio: Auf jeden Fall! Eine der Hauptaufgaben der sportpsychologischen Experten in den Klubs ist aus meiner Sicht die Begleitung genau solcher schwieriger Situationen; und zwar prĂ€ventiv, das heißt, bevor womöglich eine DepressivitĂ€t entsteht.

WIR PROFIS: Eine Studie aus dem Jahr 2010 kam zu dem Schluss, dass Spitzenathleten wÀhrend ihrer Karriere bis zu 640 verschiedenen Stressoren ausgesetzt sind. Was bedeutet es, wenn diese nach dem Ende der Karriere von jetzt auf gleich ausbleiben?

Mario Sulprizio: Eigentlich sollte man meinen, dass sich das positiv auf die Psyche auswirkt: Weniger Stress, mehr Erholung. Das Gegenteil aber ist der Fall, denn gerade fĂŒr Leistungssportler sind diese Reize hĂ€ufig positiv. In der Psychologie spricht man auch von „Eustress“, also positivem Stress, der Personen sogar leistungsfĂ€higer machen kann. Viele Sportler lieben dieses GefĂŒhl und sind beinahe sĂŒchtig danach. Wenn das wegfĂ€llt, ist das Ergebnis eben nicht Erleichterung, sondern vielmehr Orientierungslosigkeit.

WIR PROFIS: Eine Orientierungslosigkeit, die offensichtlich nicht wenige zur Flasche greifen lÀsst: Eine Metastudie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass knapp 20 Prozent der aktiven und ehemaligen Profis zu Alkoholmissbrauch neigen. Ist die Flucht in die Sucht Ausdruck der angesprochenen IdentitÀtskrise?

Marion Sulprizio: Bei Ex-Profis möglicherweise, bei Aktiven können auch der Umgang mit Leistungsdruck oder andere Stressfaktoren die Ursache sein. Hier unterscheidet sich der Fußballprofi nicht vom Ottonormalverbraucher: Wer schwierige Situation oder Krisen zu bewĂ€ltigen hat, sucht hĂ€ufig die Entspannung im Alkohol. Das ist die hĂ€ufigste Substanz, zu der man greift, wenn man eine Art von Spannung erlebt, die man mit anderen Mitteln nicht bewĂ€ltigen kann. Der Griff zur Flasche sorgt leider zumindest kurzfristig dafĂŒr, dass man sich besser und selbstbewusster fĂŒhlt. Genau das ist ja das GefĂ€hrliche daran.

WIR PROFIS: Damit es gar nicht erst so weit kommt: Wie wichtig ist die mentale Vorbereitung auf das Karriereende, das Zurechtlegen einer sogenannten „Exit-Strategie“?

Marion Sulprizio: Sehr wichtig! Zum einen sollte man sich im Klaren darĂŒber sein, welchen beruflichen Weg man nach der Karriere beschreiten will. Eine „Das-wird-sich-schon-irgendwie-ergeben“-Haltung ist in dieser Lage selten zielfĂŒhrend und kann sogar gefĂ€hrlich sein, denn dann tritt der eben erwĂ€hnte Effekt ein, dass man in ein Loch fĂ€llt, sobald alle bisherigen Gewohnheiten schlagartig gekappt werden. Dann entsteht die innere Leere, von der wir gesprochen haben, und man muss erst einmal das Gedankenkarussell wieder in den Griff bekommen. Auch hier können die psychologischen Betreuer der Klubs helfen. Wenn ich als Spieler bereits mit einem Team-Psychologen in Kontakt bin, sollte ich mit ihm ĂŒber das geplante Karriereende sprechen, damit er mich dabei begleiten und mir mit RatschlĂ€gen und Tipps helfen kann.

WIR PROFIS: Angenommen, ein Spieler hat es versĂ€umt, einen Plan B zu entwickeln und bemerkt nun nach dem Karriereende die angesprochene „innere Leere“. Welche kurzfristigen Möglichkeiten gibt es, um dem entgegenzuwirken?

Marion Sulprizio: Es mag banal klingen, aber es hilft sehr, einfach neue Gewohnheiten zu entwickeln. Auch hier gilt das gleiche wie bei Nicht-Sportlern: Es mĂŒssen neue Herausforderungen gefunden werden, die einen erfĂŒllen, Freude machen und BedĂŒrfnisse erfĂŒllen, die frĂŒher der Fußball befriedigt hat. Sei es Reisen, Kochen, Fahrrad fahren oder soziale Kontakte, die wĂ€hrend der aktiven Zeit vielleicht zu kurz gekommen sind, neu zu knĂŒpfen. In jedem Fall sollte ein Strukturverlust vermieden werden, beispielsweise indem man sich einen Tagesplan – der ja vorher in Form des Trainings vorgegeben war – zurechtlegt. Ganz wichtig: Wer feststellt, dass es ihm wirklich schlecht geht und wer droht, in eine klinische Depression zu rutschen, benötigt unbedingt professionelle Hilfe in Form einer Therapie!

 

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