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VDV-Bildungstendenzstudie zeigt einmal mehr:

Profis sollten sich die Ausbildung nicht verbauen

Gemeinsam mit Katrin Lindt hat Prof. Dr. Dirk Mazurkiewicz vom ISS – Institut für Sportmanagement der Hochschule Koblenz zum vierten Mal die VDV-Bildungstendenzstudie durchgeführt. WIR PROFIS sprach mit beiden über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und die wichtigsten Trends, die sich daraus ableiten lassen.

WIR PROFIS: Herr Mazurkiewicz, Frau Lindt – dank Ihrer Arbeit haben wir wieder interessante Einblick in die Bildungsbereitschaft und die berufliche Zukunftsplanung der Fußballprofis erhalten. Wie gestaltete sich der wissenschaftliche Arbeitsablauf?

Katrin Lindt:
 Wie in den Vorjahren haben die Profis einen Fragebogen bekommen, in diesem Jahr erstmalig digital. Inhaltlich erweitert wurde der Fragebogen um die Themen „Risikobereitschaft und -wahrnehmung“ und „Resilienz“. Das half uns zum einen, die Studie abzurunden, indem wir besser verstehen wie der jeweilige Teilnehmer „tickt“. Zum anderen erlaubte es mir, zu diesem Thema – das mein Promotionsthema ist – zusätzliche Erkenntnisse zu sammeln. Ansonsten entsprach der Fragebogen dem der vorhergehenden Studien, um die Vergleichbarkeit aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus haben wir dieses Mal gezielt Regionalligaspieler angesprochen, was erfreulicherweise zu deutlich mehr Teilnahmen aus diesem Bereich geführt hat.

Dirk Mazurkiewicz: Im Gegenzug war es schwieriger, die Erstligaspieler zu erreichen. Die berufliche Perspektive scheint für einen Bundesligaspieler tatsächlich nicht so prekär zu sein, wie die eines Drittliga- oder Regionalligaspielers.

Katrin Lindt: Hinzu kommt: Wenn man Personen nach ihrer Bildung fragt, es aber gleichzeitig nicht verpflichtend ist, den Fragebogen auszufüllen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Personen an der Umfrage teilnehmen, die grundsätzlich an Bildung und Berufsperspektiven interessiert sind. Aus der ersten und zweiten Liga nehmen daher wohl weniger Spieler teil, weil das Thema für sie weniger relevant ist.

WIR PROFIS: Eine Erkenntnis der Studie ist gleichzeitig aber auch, dass sich Spieler aus unteren Ligen nicht übermäßig mehr mit ihrer beruflichen Zukunft beschäftigen als Spieler in der ersten Liga. Ist das angesichts der Gehaltsunterschiede nicht etwas paradox?

Katrin Lindt:
 Das ist sogar definitiv paradox! Und es ist gleichzeitig auch auch das Thema meiner Promotion: Warum wird das Risiko, das so eine Sportkarriere mit sich bringt, nicht wirklich wahrgenommen?

In unserem konkreten Fall ist es allerdings gut möglich, dass das Alter der Probanden eine Rolle spielte. Jüngere Spieler haben meist noch höhere Ambitionen und sind schneller bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Sie beschäftigen sich erst später mit anderen Optionen. Werden ältere Spieler befragt, sehen die Antworten anders aus. Es ist also auch wichtig, zu welchem Karrierezeitpunkt man die Spieler befragt. Es gibt auch ältere Spieler in der Regionalliga, die ihre Karriere nur noch auslaufen lassen, aber vorher höher gespielt haben. Für sie ist das Thema ihrer beruflichen Zukunft ebenfalls nicht so relevant, da sie bereits genug Geld verdient haben.

WIR PROFIS: Sie sprachen es gerade an, Frau Lindt: Resilienz und Risikowahrnehmung sind die Punkte, zu denen sie forschen. Dabei geht es um mentalen Widerstand (Resilienz) und das Einordnen von Risiken (Risikowahrnehmung), richtig?

Katrin Lindt: Resilienz ist eine Persönlichkeitseigenschaft. Dabei geht es um die Erfahrungen, die man gemacht hat, wie man sich selbst einschätzt und wie jemand mit Widrigkeiten umgeht. Sie ist bei Sportlern meist stärker ausgeprägt, da sie öfter mit Niederlagen umgehen müssen und Rückschläge zum Tagesgeschäft gehören.

Das Thema Risikowahrnehmung widmet sich der Frage, wie ein Spieler selbst einschätzt, an welchem Punkt seiner Karriere er steht und die Realisation, ab wann das zu einem ökonomischen Risiko wird. Für einen 18-jährigen Viertligaspieler ist diese Wahrnehmung eine ganz andere als die eines 30-jährigen Regionalspielers, der feststellen muss, dass er den Sprung in die ersten drei Ligen wohl nicht mehr schafft. Wenn jemand mehr positive Erfahrungen in seiner Karriere gemacht hat, ist er risikobereiter als jemand, der viele negative Erfahrungen machen musste. Am Ende ist Letzterer dann wohl auch eher bereit, eine Ausbildung zur Absicherung seiner Zukunft zu starten.

WIR PROFIS: Was die Risikoeinschätzung betrifft, spiegelt Ihre Studie auch andere Lücken wider. Es geht dabei nicht nur um Einschätzung der eigenen, fernen Zukunft, sondern auch um Dinge wie eine oft fehlende Berufsunfähigkeitsversicherung. Ist das darauf zurückzuführen, dass diese Spieler vielleicht noch nie verletzt waren und deswegen keine Angst davor haben?

Katrin Lindt: Genau, auch die subjektive Risikoeinschätzung gehört dazu. Wir haben zum Beispiel auch finanzielle Aspekte abgefragt. Ein Beispiel: Denkst du, dass Spieler aus deiner Mannschaft in Zukunft in Geldnot geraten könnten? Wenn ein Spieler noch nie in einer solchen Situation war – vielleicht, weil er noch sehr jung ist oder noch nie verletzt war – sieht er gar nicht, dass eine Vorsorge für die eigene Karriere wichtig wäre.

WIR PROFIS: Die Einschätzungen scheinen sich in der Tat mit der Realität sehr oft überhaupt nicht zu decken. Auch viele hochklassige Spieler geraten weiterhin nach ihrer Karriere in Geldnöte.

Katrin Lindt: Ich habe manchmal das Gefühl, dass der Traum immer da ist, auch wenn es nicht jeder nach oben schaffen kann. Das führt dazu, dass schneller Risiken eingegangen werden. Was auch noch dazu kommt: Manch einer denkt auch, dass sein Name ihm auch in Zukunft weiterhilft und Türen öffnen wird. Das ist unterhalb der 1. Bundesliga aber in der Regel leider kein realistisches Szenario.

WIR PROFIS: Gerade jüngere Spieler glauben oft, dass ihre erarbeiteten Qualifikationen für die Karriere nach der Karriere ausreichen und sie später als Experte oder Trainer arbeiten können. Die Medienlandschaften vermittelt in dieser Hinsicht wahrscheinlich vielen ein verzerrtes Bild. Gibt es wissenschaftliche Daten, wie viele es am Ende tatsächlich schaffen, im Geschäft zu bleiben?

Dirk Mazurkiewicz: Wir haben hierzu eine Studie durchgeführt, die zwar interessante Informationen zu Nachkarriereläufen hervorbringen, aber leider keinen objektiven und wissenschaftlichen Erkenntnisstand über den Verbleib im Fußballgeschäft schaffen konnte. Der Grund: Es war uns nicht möglich, die Daten zu den jeweiligen Kohorten zu gewinnen, da wir schlicht nicht an die Spieler herangekommen sind. Es ist zwar noch recht einfach, herauszufinden, was die erfolgreichen Spieler nach ihrer aktiven Zeit tun. Einige Weitere findet man dann noch über Mittelwege, weil sie noch bei ihrem Verein in irgendeiner Form tätig sind. Aber alle anderen verschwinden praktisch vom Radar: Sie arbeiten dann bei einer Versicherung oder steigen ins Familienunternehmen ein. Für uns sind diese Lebenswege irgendwann nicht mehr nachzuverfolgen. Dazu kommt – und das ist der letzte Punkt: Viele haben auch einfach keine Lust, darüber zu reden. Damit ist eine valide Forschung, die definitiv eine Zahl dazu geben kann, ganz schwierig.

WIR PROFIS: Würden Sie aus sozialwissenschaftlicher Sicht - oder aus der eigenen Perspektive - kritisch betrachten, dass so viele junge Spieler alles auf die Karte Fußball setzen? Oder muss man jungen Sportlern einfach zugestehen, dass sie den Fokus voll auf die Karriere legen?

Dirk Mazurkiewicz: Persönlich gesehen kenne ich viele Situationen und Lebenswege. Was mir positiv auffällt: Der Sport ist fair. Im Fußball wird relativ schnell herausgefiltert, wodurch viele die Chance haben, sich doch noch rechtzeitig umzuorientieren. Mit 20 bist du oft entweder voll dabei – oder schon ganz raus. Das sehe ich nicht als brisant, sondern als hart, aber fair an. Es gibt aber auch noch zwei andere Fälle: Zum Beispiel die, die froh sind, in der dritten oder vierten Liga etwas mehr zu verdienen, während sie in keinem anderen Beruf nur ansatzweise so viel Geld verdienen könnten. Schädigen wir die, wenn die erst später in einem Aushilfsjob landen? Vermutlich nicht.
Und dann bleibt noch die dritte Gruppe, und da wird es schon schwierig: Die, die zwar grundsätzlich für den Arbeitsmarkt geeignet wären, sich aber durch den Fußball die Ausbildung verbauen. Die haben die Hoffnung, dass sie im Profifußball genug Geld verdienen werden und lassen sich von dieser Aussicht blenden. Aber nur ein paar Prozentpunkte erreichen dieses Ziel am Ende auch. Das muss man schon mit einer gewissen Brisanz sehen. Die VDV weist ja auch immer drauf hin, weswegen wir gerne mit der Spielergewerkschaft zusammenarbeiten.

Katrin Lindt: Richtig wäre wohl der goldene Mittelweg. Es sollte vielleicht offener kommuniziert werden, dass es nur ein Bruchteil schafft, mit Fußball sein Leben zu finanzieren und damit auch eine vernünftige Altersgrundlage zu erarbeiten. Die wenigsten jungen Fußballer werden allerdings Nationalspieler oder in der ersten Liga spielen. Es müsste also von Anfang an kommuniziert werden, dass es diese Chance gibt, aber dass immer auch die Möglichkeit besteht, dass es nicht klappt.

WIR PROFIS: Wäre möglicherweise eine entsprechende Kommunikation in den Nachwuchsleistungszentren ein guter Schritt?

Dirk Mazurkiewicz: Nein, ich denke, da würde man zu viel verlangen. Damit würden die Nachwuchsleistungszentren eine größere Aufgabe übernehmen als zum Beispiel die Schulen. Und selbst dort gibt es Probleme, entsprechende Werte zu vermitteln. Die Verantwortung auf die Vereine zu übertragen, finde ich deswegen unfair. Außerdem: Es ist ein Markt von Angebot und Nachfrage. Die Vereine müssen schauen, dass sie die besten Spieler finden. Deswegen können wir den Vereinen nicht auch noch diese Verantwortung übergeben.

WIR PROFIS: Kommen wir noch einmal zurück auf die Studienergebnisse. Rückläufig ist der Anteil an Spielern mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Nur noch 14% im Vergleich zu 20% im Jahr 2017. Ist das dann ihrer Meinung nach einfach ein Trend, der sich da widerspiegelt?

Dirk Mazurkiewicz: Ich denke, dass das daran liegt, dass wir uns bei den vorherigen Befragungen mehr auf die ersten Ligen konzentriert haben und jetzt noch die vierte Liga dazukam. Von daher könnte man vielleicht sagen, dass wir in den unteren Ligen ein höheres Bewusstsein dafür haben, dass man sich ein Plan B zurechtlegen muss. Was in den ersten beiden Ligen wahrscheinlich auch nötig wäre, um den Lebensstandard zu halten. Gerade junge Leute sollten wir deswegen früh packen und ihnen aufzeigen, dass sie sich noch ein zweites Standbein aufbauen sollten. Die Ausbildung würde ich deswegen nicht überbewerten, da der Gesamtanteil in der Bevölkerung an Studierenden ebenfalls gestiegen ist. Es machen weniger Leute eine Ausbildung als früher. Deswegen ist die Abweichung im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsmarkt nicht signifikant.

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